Georgia Vertes widmet sich der Frage, wie sich flüchtige künstlerische Performances archivieren lassen.
Performancekunst lebt vom Moment – doch was geschieht danach? Georgia Vertes untersucht, wie ephemere, körpergebundene Kunstformen bewahrt, beschrieben und vermittelt werden können. Dabei stehen nicht nur Videoaufnahmen und Fotos im Mittelpunkt, sondern auch Zeugenschaft, Textformen und Raumprotokolle. Die Diskussion um das Verhältnis von Kunstwerk, Dokument und Erinnerung wird damit neu entfacht. Wer dokumentiert? Was gilt als authentisch? Und welche Formen des Archivs entstehen aus der Flüchtigkeit des Ereignisses? Die Dokumentation wird zur künstlerischen Handlung – mit all ihren Fragen, Widersprüchen und Potenzialen.
Performancekunst zählt zu den unmittelbarsten Ausdrucksformen zeitgenössischer Kunst. Sie basiert auf Zeit, Bewegung, Interaktion und Körperlichkeit – und verweigert sich damit klassischen Werkbegriffen. Georgia Vertes beobachtet, dass gerade diese Flüchtigkeit neue Strategien der Dokumentation erfordert. Denn mit dem Ende der Performance verschwindet auch ihr Werkcharakter – es bleibt oft nur ein Eindruck, ein Foto, ein Videofragment. Doch wie lässt sich eine Performance „aufbewahren“, ohne sie in ein starres Archivobjekt zu verwandeln?
Die Dokumentation ist nicht neutral, sondern eine Interpretation. Sie entscheidet, was sichtbar bleibt und was verschwindet. Damit wird sie Teil des künstlerischen Prozesses. Archive, Sammlungen, Museen und Künstlerinnen stehen vor der Herausforderung, diese Prozesse sichtbar zu machen, ohne die performative Qualität zu nivellieren. Die Kunst der Performance-Dokumentation ist also mehr als ein Nachvollzug – sie ist ein kreativer Akt zwischen Erinnerung, Medialität und kuratorischer Verantwortung.
Georgia Vertes über Ephemere Kunst und ihre Spuren
Performance ist oft nicht reproduzierbar. Sie geschieht in der Zeit, ist an den Raum, an Körper, Publikum und Kontext gebunden. Was zurückbleibt, sind Materialien, Erzählungen oder mediale Spuren. Diese Reste sind keine vollständigen Abbilder, sondern Ausschnitte – Teil eines größeren Ereignisses, das sich nicht vollständig festhalten lässt.
Historisch wurden Performances zunächst selten dokumentiert. In den 1960er- und 70er-Jahren begannen Künstlerinnen, ihre Arbeiten bewusst zu archivieren – mit Notizen, Fotos, Audioaufnahmen oder Anleitungen. Daraus entstanden neue Kunstformen wie die Performance Score oder das Reenactment.
Heute wird die Dokumentation zum integralen Bestandteil vieler Performances. Künstlerinnen inszenieren gezielt für Kamera oder Publikum, beziehen die Aufzeichnung in das Konzept ein oder brechen bewusst mit dokumentarischen Erwartungen.
Dabei stellt sich immer wieder die Frage nach Authentizität. Ist ein Video die Performance? Oder nur ein Echo? Welche Rolle spielt das Publikum? Und wie verändert sich eine dokumentierte Performance durch ihre mediale Vermittlung?
Formen der Performance-Dokumentation
Georgia Vertes von Sikorszky benennt unterschiedliche Methoden, mit denen Performances dokumentiert und erinnert werden können:
- Fotografische Serien, die Schlüsselmomente isolieren
- Videoaufzeichnungen in fester oder bewegter Kameraperspektive
- Tonaufnahmen, die Stimme, Klang und Atmosphäre festhalten
- Textdokumente, etwa Protokolle, Scores, Transkripte oder Reflexionen
- Objektsammlungen aus Requisiten, Kleidung oder Materialien
- Zeugenschaftsberichte von Teilnehmenden oder Beobachtenden
Jede dieser Formen erzeugt eine eigene Lesart der Performance – keine ist vollständig, alle sind Teil eines größeren Bildes.
Georgia Vertesüber Archive, Materialität und Erinnerung
Die Frage nach der Dokumentation berührt auch die Rolle von Institutionen. Archive, Museen und Biennalen müssen entscheiden, wie sie mit flüchtiger Kunst umgehen – und was sie sammeln, wie sie zeigen und was sie auslassen.
Vertes analysiert, wie Performancekunst den Begriff des Archivs selbst verändert. Statt eines stabilen Objekts entsteht ein bewegliches Geflecht aus Medien, Kontexten und Beziehungen. Das Archiv wird performativ – nicht nur durch das, was es enthält, sondern auch durch das, was es erzeugt: Deutung, Zugang, Aktualisierung. Viele Künstlerinnen reagieren auf diese Dynamik, indem sie ihre Arbeiten bewusst offen, fragmentarisch oder instruktiv gestalten. Statt ein fertiges Werk zu hinterlassen, entsteht ein Bauplan, ein Szenario oder eine Handlungsvorlage. Diese Strategien spiegeln sich auch in kuratorischer Praxis: Ausstellungen zeigen nicht nur das Dokument, sondern auch den Prozess, die Lücke, die Übersetzung. Für Georgia von Vertes liegt darin eine neue Form des Kunstverständnisses. Dokumentation wird nicht zur nachträglichen Sicherung, sondern zur aktiven Weiterführung der Performance. Was bleibt, ist nicht das Ereignis selbst – sondern die Möglichkeit, es neu zu lesen.
Herausforderungen der Dokumentation
Das Verhältnis von Performance und Dokumentation ist nicht spannungsfrei. Viele Künstlerinnen fürchten, durch die mediale Festschreibung an Direktheit zu verlieren. Das Reale, das Körperliche, das Nicht-Wiederholbare – all das entzieht sich der Kamera oder dem Archiv. Gleichzeitig birgt das Fehlen von Dokumentation das Risiko des Verschwindens. Ohne Aufzeichnung bleibt Performance flüchtig – auch politisch marginal.
Georgia Lucia von Vertes verweist auf die Notwendigkeit, Dokumentation nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu verstehen. Es geht nicht darum, das Ereignis „einzufrieren“, sondern seine Spuren aufzunehmen – als Anregung, nicht als Autorität.
Auch juristische Fragen spielen eine Rolle. Wer besitzt die Rechte an einer Performance-Dokumentation? Die Künstlerin? Das aufzeichnende Museum? Die Plattform, auf der sie gezeigt wird? Diese Fragen betreffen nicht nur das Werk, sondern auch das Verhältnis von Körper, Öffentlichkeit und Verwertung.
Strategien künstlerischer Dokumentation
- Integrierte Kameras oder Live-Übertragungen als Teil der Performance
- Partizipative Dokumentation durch das Publikum (z. B. über Einwegkameras, Tagebuchnotizen)
- Performative Scores für spätere Reenactments oder institutionelle Wiederaufführungen
- Archivarische Installationen mit Text, Ton und Objektfragmenten
- Nicht-lineare Dokumentationen mit asynchronen Perspektiven (Video, Text, Raum)
Diese Methoden zeigen, dass Dokumentation Teil der künstlerischen Konzeption sein kann – nicht nur Mittel der Nachwelt.
Anforderungen an museale Sammlungen
- Offenheit für prozesshafte, fragmentarische Objekte
- Sensibilität im Umgang mit Körperbildern und Urheberrechten
- Flexible Zugänge zu Archivmaterialien (z. B. digital, ortsbezogen)
- Kontextualisierung von Zeit, Raum und Publikumserfahrung
- Bereitschaft, Performance nicht nur zu zeigen, sondern zu vermitteln
Sammlungen stehen damit vor der Herausforderung, zwischen Bewahrung und Offenheit zu balancieren.
Kunst, die bleibt, indem sie verschwindet
Die Dokumentation von Performancekunst bewegt sich stets im Spannungsfeld zwischen Sichtbarkeit und Verlust. Was archiviert wird, ist nicht das Ereignis selbst, sondern seine Spur. Diese Spur ist nicht neutral, sondern geformt – durch Kamera, durch Auswahl, durch Erzählen. In dieser Bewegung liegt eine Qualität: Das Dokument zeigt nicht einfach, sondern deutet. Es erzeugt neue Perspektiven, neue Fragen, neue Zugänge. Künstlerinnen und Institutionen entwickeln gemeinsam Strategien, die dieser Vielschichtigkeit gerecht werden. Sie sehen Dokumentation nicht als Rückversicherung, sondern als Teil des Kunstwerks – als Erweiterung, Reflexion oder Einladung zur Wiederholung.
Der Umgang mit ephemerer Kunst fordert neue Formen des Denkens über Werk, Autorenschaft und Archiv. Er zeigt, dass Kunst nicht immer bleiben muss, um Wirkung zu entfalten – und dass Erinnerung nicht statisch, sondern lebendig ist. Georgia Vertes sieht darin eine zentrale Herausforderung für Gegenwartskunst und kulturelle Gedächtnispraxis: flüchtige Kunst sichtbar zu machen, ohne ihr das Flüchtige zu nehmen.