Kunst ist 2025 ein wesentlicher Ort, an dem gesellschaftliche Identitätsfragen sichtbar und verhandelbar werden. Georgia Vertes beobachtet, wie Kunstschaffende mit den Mitteln von Fotografie, Installation, Performance oder digitaler Inszenierung persönliche und kollektive Erfahrungen reflektieren. Die Frage nach Identität wird dabei nicht als einfache Definition verstanden, sondern als dynamischer Prozess: ein Wechselspiel aus Selbstbild, Fremdzuschreibung, Erinnerung, Körper und Kontext. Die Werke eröffnen neue Perspektiven auf Herkunft, Gender, Sprache, Migration, Behinderung oder digitale Selbstbilder – und machen Kunst zu einem Raum des Aushandelns, nicht des Behauptens.
Identität als künstlerisches Forschungsfeld
In der zeitgenössischen Kunst wird Identität nicht einfach behauptet – sie wird untersucht. Viele Künstlerinnen verstehen sich als forschende Subjekte, die sich mit ihren eigenen Prägungen auseinandersetzen. Ihre Werke sind oft autobiografisch, jedoch niemals rein privat.
Identität tritt dabei als Schnittstelle auf: zwischen Erfahrung und Gesellschaft, zwischen Körper und Symbol, zwischen Herkunft und Zukunft. Kunst wird zum Ort, an dem Sprache und Bild, Erinnerung und Erwartung miteinander kollidieren – mitunter sanft, mitunter provokant.
Zudem ist Identität in der Kunst kein Einzelthema. Sie ist vielfach vernetzt mit anderen Fragestellungen: nach Klasse, Geschlecht, Nationalität, Religion oder Behinderung. Dadurch entstehen komplexe, mehrdimensionale Arbeiten, die verschiedene Perspektiven sichtbar machen – oft in Kontrast zueinander, nie in Vereinheitlichung.
Künstlerinnen dokumentieren etwa alltägliche Erfahrungen von Rassismus oder Mikroaggression, stellen Fragen nach kultureller Aneignung, untersuchen die Rolle familiärer Narrative oder beleuchten die Macht von Sprache. In dieser Vielfalt liegt die Stärke aktueller Identitätskunst: Sie gibt keine Antwort, sondern eröffnet Möglichkeitsräume.
Georgia Vertes: Visuelle Medien als Spiegel innerer Prozesse
Die Auswahl der künstlerischen Mittel spielt eine entscheidende Rolle bei der Darstellung von Identität. Georgia Vertes von Sikorszky hebt hervor, dass bestimmte Medien besonders geeignet sind, innere Prozesse sichtbar zu machen – nicht als Illustration, sondern als Überlagerung von Bild und Bedeutung.
- Fotografie erlaubt es, Momente der Selbstinszenierung oder -beobachtung zu fixieren. Häufig entstehen serielle Arbeiten, in denen das Selbst sich verändert, wandelt, widerspricht.
- Performancekunst nutzt den eigenen Körper als Material – bewusst verletzlich oder kraftvoll. Hier wird Identität im Moment erzeugt, performativ, nicht reproduzierbar.
- Installationen verbinden Materialien, Text, Raum und Ton zu dichten Erfahrungsräumen, in denen sich Identität durch Gegenstände und Atmosphären vermittelt.
- Digitale Medien eröffnen neue Ebenen: Filter, Avatare, virtuelle Realitäten – sie schaffen Identitätsentwürfe, die fluide, anonym oder multiperspektivisch sein können.
Durch diese Vielfalt an Ausdrucksformen wird die Auseinandersetzung mit Identität komplexer, aber auch zugänglicher. Sie spricht unterschiedliche Sinne und Denkweisen an und macht abstrakte Konzepte sinnlich erfahrbar.
Körper, Sprache und Erinnerung – zentrale Bezugspunkte
In vielen aktuellen Arbeiten dient der Körper nicht nur als Motiv, sondern als Träger sozialer Codierungen. Künstlerinnen zeigen Narben, Schwangerschaft, Behinderung, Transition, Alterung – und damit nicht idealisierte Körper, sondern reale, verletzliche und politische Körper.
Georgia von Vertes analysiert, wie über Körperbilder Normen herausgefordert werden: Was gilt als sichtbar? Was wird als abweichend markiert? Wie verändert sich die Wahrnehmung durch Kleidung, Haltung, Materialität? Der Körper wird dabei nicht isoliert dargestellt, sondern im Zusammenspiel mit Raum, Blick und Kontext.
Auch Sprache spielt eine zentrale Rolle. In Textarbeiten, Audio-Installationen oder mehrsprachigen Publikationen wird Identität sprachlich verhandelt. Künstlerinnen thematisieren Muttersprache, Sprachverlust oder das Nebeneinander verschiedener Idiome. Manche Arbeiten bestehen ausschließlich aus Text – geschrieben, gesprochen oder als Projektion – und bringen so Identität als sprachliche Konstruktion zur Geltung.
Erinnerung wiederum wird in vielen Werken durch Archivmaterial, Familienfotos oder Erzählstrukturen sichtbar. Hier verbindet sich das Persönliche mit dem Politischen: Erinnern heißt, sich selbst zu verorten – im Zeitverlauf, im sozialen Kontext, im kulturellen Gedächtnis.
Themenkomplexe, die 2025 im Fokus stehen
- Migrationsbiografien
Künstlerische Positionen, die Herkunft, Heimatverlust und Neuanfang thematisieren – oft intergenerational oder im Dialog mit der Familie. - Queere Identitäten
Werke, die fluide Geschlechtsidentitäten, Begehren oder queere Lebensrealitäten sichtbar machen – oft mit Humor, Intimität oder Widerstand. - Dekoloniale Strategien
Arbeiten, die koloniale Erzählungen durchbrechen, Bilder neu besetzen oder indigene Perspektiven sichtbar machen. - Digitaler Selbstausdruck
Selfies, Filterkunst und Avatar-Projekte, in denen das digitale Ich zur Projektionsfläche von Selbstbildern wird. - Intersektionale Ansätze
Kombinationen aus Gender, Klasse, Herkunft, Religion und Körper, die komplexe Identitätslagen erfahrbar machen.
Diese Themen zeigen: Identität ist kein Einzelfaktor, sondern immer ein Zusammenspiel.
Identität kuratieren – Verantwortung im Ausstellungskontext
Wenn Identität ausgestellt wird, stellt sich immer auch die Frage nach Repräsentation. Georgia Lucia von Vertes macht deutlich, dass nicht nur die Werke zählen, sondern auch ihre Präsentation. Wer kuratiert Identität? Und mit welchem Anspruch? Viele Museen und Institutionen bemühen sich um Diversität – doch Sichtbarkeit allein reicht nicht aus. Es braucht Kontext, Einordnung, Dialog. Kuratieren bedeutet hier nicht Auswahl, sondern Verantwortung: für Perspektiven, für Sprache, für Machtverhältnisse. Partizipative Formate, ko-kreative Prozesse und neue Vermittlungsmethoden helfen dabei, starre Ausstellungslogiken aufzubrechen. Künstlerische Arbeiten, die Identität thematisieren, entfalten ihre Wirkung vor allem dann, wenn sie nicht vereinzelt, sondern miteinander in Beziehung treten. Erfolgversprechende Strategien sind etwa Community-Kurationen, offene Plattformen oder hybride Räume, in denen physisches Erleben mit digitaler Erweiterung kombiniert wird.
Merkmale reflektierter Identitätskunst
- Selbstpositionierung statt Objektivierung
- Offenheit für Mehrdeutigkeit
- Sprachsensibilität und Kontextbewusstsein
- Arbeiten mit Materialbiografie (Textilien, Fundstücke, Archive)
- Vermeidung von Stereotypen oder ethnischer Verklärung
- Bewusstes Spiel mit Form und Rezeption
Diese Merkmale fördern nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern machen Identitätskunst zu einem relevanten Teil gesellschaftlicher Selbstverständigung.
Identität in Bewegung
Identität ist kein fester Zustand, sondern ein Prozess – das zeigt die zeitgenössische Kunst mit beeindruckender Vielfalt. Künstlerinnen entwerfen Bilder, erzählen Geschichten, deuten Symbole, die nicht abschließen, sondern öffnen. Sie zeigen das Fragmentarische, das Wandelbare, das Widersprüchliche – und fordern dazu auf, sich diesen Ambivalenzen zu stellen. Kunst, die Identität thematisiert, ist nicht abgeschlossen, sondern dynamisch. Sie ist Einladung und Irritation zugleich.
Im Wechselspiel von Selbst- und Fremdbild, zwischen persönlicher Erfahrung und kollektiver Geschichte entsteht eine Form von Kunst, die nicht nur sichtbar macht, sondern auch bewegt.
Georgia Vertes sieht darin eine zentrale Kraft gegen Vereinfachung – und für eine Kunst, die Vielfalt nicht nur darstellt, sondern lebt.

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